Insurance Insights
| Gareth Miller |
30 März 2021
Aus unseren Gesprächen mit führenden Köpfen der Versicherungsbranche ergaben sich mehrere Fokus-Themen für 2021 und darüber hinaus. In dieser Blog-Reihe geben einige unserer Experten Einblicke, wie Versicherer Innovationen schaffen und nutzen können, indem sie die folgenden Bereiche angehen: Open Insurance, Nutzung von Daten, Cloud-Migration, Kundenbindung & Cross-Selling, Intelligente Underwriting Workbench und Low Code. Im fünften Teil erklärt Gareth Miller die Vorteile einer sogenannten „Underwriting Workbench“ und wie man sie erfolgreich einbindet.
Wenn man gefragt wird, was Underwriter machen, dann werden diejenigen unter uns, die in der City of London arbeiten, das so beschreiben: Im Eiltempo rund um Lloyd’s of London unterwegs, tragen sie große Aktenordner voller Papiere mit sich herum. Aber, um Bob Dylan zu zitieren, „the times they are a-changing“ – ändern sich also – und Digitalisierung ist mittlerweile ein Muss.
Es wäre leicht, COVID-19 jetzt als den Auslöser zu benennen, der papierbasiertes Underwriting als unhaltbar in einer weltweit vernetzten Welt enttarnt hat. Es wäre jedoch unfair denen gegenüber, die bereits vor der Pandemie papierlose Prozesse angestoßen haben. Die Underwriting Workbench (die „Werkbank“ für Underwriter) ist eine zunehmend ausgefeilte Ausprägung dieses Wandels, für den sich alle Chef-Underwriter einsetzen sollten.
WAS IST EINE UNDERWRITING WORKBENCH?
Eine Underwriting Workbench ist eine Art digitales Steuerpult und ein Werkzeug für die gemeinsame Arbeit im Team. Es ist eine zentrale Anlaufstelle, die Prozesse vereinfachen, Aufgaben verteilen, auf digitalisierte Dokumente oder E-Mails zugreifen und Datenströme und ‑analysen einbringen kann. Die besten Workbenches interagieren auch mit den zugrundeliegenden Systemen und bieten so eine zentrale Verwaltungskonsole mit der Möglichkeit zur nahtlosen Nutzung über verschiedene Geräte hinweg. Mit so einer Workbench können Underwriter nicht nur ihre eigenen Bücher und ihr Arbeitspensum besser im Blick behalten, sondern sie lädt auch zu mehr Zusammenarbeit innerhalb des Teams ein. Im Ergebnis kann eine gut eingerichtete Workbench ein Katalysator für höhere Produktivität sein – allein und auch im Team –, was sich wiederum auch in mehr Wirtschaftlichkeit überträgt.
VORTEILE EINER WORKBENCH
Integration in bestehende Systeme. Wenn sie gut konstruiert ist, kann sich die Workbench in Bestandssysteme integrieren und auch Möglichkeiten für die Zukunft bieten. Wo ein Underwriter vorher vielleicht zwischen mehreren Bildschirmen wechseln musste, um sogar einfachste Informationen abzurufen und zu analysieren, stellt eine Workbench all dies nutzerfreundlich dar. Mit nur wenigen Klicks kann sich ein Underwriter relevante Informationen zu einem Fall, Broker oder Kunden anzeigen lassen, inklusive aktiven Hinweisen zu eventuell noch fehlenden Informationen. Wenn nötig können sie auch tiefer in diese Ansichten eintauchen. Und sie können das Ganze zum Beispiel auf einem Laptop im Büro beginnen, dann über eine App auf ihrem Smartphone oder Tablet in der Bahn auf dem Weg nach Hause fortsetzen und schließlich nahtlos wieder am Laptop weitermachen.
Daten und Analysen. Die Nutzung interner und externer Datenquellen ist mittlerweile Standard bei technikgestützten Versicherern. Eine gute Workbench kann selbstverständlich interne Daten aufnehmen und sie in einem gut verwertbaren Format darstellen. Aber eine richtig gute Workbench wird auch externe Datenquellen hinzunehmen, KI-gestützte Analytics einbinden und so auch maßgeschneiderte Abfragen über Business-Intelligence-Tools ermöglichen. Dabei sind die zur Verfügung stehenden Daten nicht nur auf Angebote oder bestehende Geschäftsdaten und Schadenfälle beschränkt. Dazu können auch Compliance-Informationen wie die der „Know your customer“-Prüfung gehören und – vielleicht am spannendsten – Live-Quellen, die die Underwriter proaktiv über potentielle Risikofaktoren oder sogar bevorstehende Schadenfälle informieren.
Automatisierte Workflows. Bisherige Workflow-Anwendungen weisen aktiv auf fehlende Informationen hin. Dies kann aber noch erweitert werden, um zum Beispiel das Überschreiten von Zeichnungsgrenzen zu verhindern, also die maximale Haftung, die auf den Underwriter entfällt oder die ein Versicherer durch all seine Underwriting-Tätigkeiten insgesamt übernehmen möchte. Eine weitere Möglichkeit wären Aufforderungen zur proaktiven Kontaktaufnahme bei anstehenden Vertragsverlängerungen, was Ablehnungen aufgrund von fehlenden Informationen oder geänderten Grenzwerten und Einstufungen verringern könnte. Wenn die Workbench mit Tools für die automatische Verlängerung oder Ablehnung – diese nutzen Automatisierung und durchgehende Datenverarbeitung nach einer Angebotsanfrage – verbunden ist, kann sie die Underwriter auch über den Status dieser einfacheren Fälle informieren.
Überwachung und Team-Management. Die Möglichkeit, Features und Zugangsrechte unterschiedlich auszusteuern, hat gewaltige Auswirkungen auf das Team-Workflow-Management. Chef-Underwriter bekommen einen Überblick über ihr gesamtes Team und Auftragsbuch und können so das Verhältnis von Performance und Einsatz besser einschätzen. Außerdem können sie besser verstehen, wie lange es vom Angebot bis zur Bestätigung dauert, inklusive Faktoren wie unvollständigen Informationen, und Daten über die Broker abfragen. Durch die Einbindung von Kontrollen, wie sie in den Unternehmensrichtlinien festgelegt sind, kann die Workbench auch Risiko-, regulatorische und Compliance-Daten anlegen und speichern. Da sie digital arbeitet, kann sie auch Zeitstempel für Auditzwecke einfügen – ein unaufdringliches Mittel für mehr Absicherung in einem hochregulierten Umfeld.
EINE WORKBENCH EINBINDEN
Unserer Erfahrung nach ist es vor der Einbindung einer Workbench entscheidend, dass man genau weiß, warum man sie einführen will. Eine wichtige Überlegung sollte sein, ob die Workbench der Dreh- und Angelpunkt für einen Wandel ist oder eher ein sanftes Polster, um die Auswirkungen des zugrundeliegenden Wandels abzufedern. Obwohl es eine Vielzahl an Prioritäten gibt, glauben wir, dass diese drei primären Treibern zugeordnet werden können, welche wiederum vorgeben, was und wie die Workbench abliefert:
- Profitableres Underwriting
- Größere Effizienz
- Erweiterte Distribution
Diese schließen sich natürlich nicht gegenseitig aus, aber Chef-Underwriter und CIOs werden sich über die optimale Kombination dieser Vorteile Gedanken machen müssen, zum Beispiel der Einsatz erweiterter Analysemethoden, die Nutzung knapper Fähigkeiten von Spezialisten und die Verbesserung der Services für Broker und Kunden.
Wenn der Business Case klar ist, sollte man an die folgenden Schritte für Konzeption und Umsetzung gehen:
- Identifizieren Sie Ihre Nutzer, binden Sie diese frühzeitig in der Konzeptionsphase ein und bilden Sie die relevanten User Journeys ab. Überlegen Sie, wie die Workbench die Interaktionen und Prozesse verändern könnte – gehen Sie nicht davon aus, dass diese dem aktuellen Flow folgen müssen – und welche Trainings und Anpassungen dafür nötig sein könnten.
- Nutzen Sie Datenanalysen und Nutzerumfragen, um herauszufinden, welche Daten für die Aufnahme und Verarbeitung in der Workbench verfügbar sind. Solche Daten können für jeden Versicherer ganz unterschiedlich sein. Hier liegt die Chance, neue Datenflüsse zu schaffen und informelle Absprachen festzuschreiben, zum Beispiel händisch geführte Tabellen, die sich aufgrund von Defiziten im Datenprozess oder Frustrationen bei den Nutzern eingeschlichen haben.
- Nutzen Sie die Macht Ihrer Daten. Obwohl Versicherer heute auf diverse externe Datenquellen zugreifen können, variiert der Grad stark, mit dem dies effektiv und dynamisch getan wird. Eine Workbench kann so eingesetzt werden, dass sie direkt und in Echtzeit auf externe Daten aus mehreren Quellen zugreifen und diese Daten auch bearbeiten kann.
- Stellen Sie fest, wie die Workbench in Ihre bestehenden und zukünftigen Prozesse und Workflows integriert werden kann. Um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, sollte diese Integration nahtlos sein. Zusätzliche Ebenen oder merkwürdige Umwege in den User Journeys und Workflows werden wohl nicht zu mehr Effizienz führen oder Ihren Spezialisten dabei helfen, sich darauf zu konzentrieren, wo sie am meisten gebraucht werden.
- Bestimmen Sie die Teile Ihrer Systemarchitektur, die die Workbench unterstützen werden. Dies sollte Schritt für Schritt geschehen und im Einklang mit den User Journeys, Workflows und Prozessen, die die Workbench ersetzen, anpassen oder mit denen sie interagieren wird. Neben der Entscheidung zwischen Cloud- und lokalem Hosting müssen sich Versicherer auch über den Zustand ihrer Bestandsarchitektur im Klaren werden, in die die Workbench eingebettet wird – ebenso wie über eventuelle Upgrade-Pläne. APIs stellen eine Lösung dar, aber in manchen Situationen kann man nicht davon ausgehen, dass die Bestandskomponenten schon bereit für eine API-Anbindung sind. Für die Nutzung externer Daten muss man sich dieselben Fragen natürlich in Bezug auf die externen Quellen stellen.
Eine Underwriting Workbench ist mittlerweile ein bewährtes Konstrukt und die aktuelle Annährung von technischen und geschäftlichen Anforderungen eröffnet neue Möglichkeiten, um Ihre Kapazitäten hier stark zu erweitern. Versicherer sollten jedoch vorsichtig sein und sich nicht von jedem „Schnickschnack“ verführen lassen. Um all diese Möglichkeiten gewinnbringend zu nutzen, müssen Underwriter und CIOs sich auf ihre wichtigsten Treiber, auf eine nahtlose Integration und eine ansprechende User Experience konzentrieren.
Zukünftig erwarten wir, dass die Underwriting Workbench mehr und mehr in den Mittelpunkt der Workflows bei Versicherungsunternehmen rückt. Mit dem zunehmenden Niveau und der Verbreitung von Automatisierung und Digitalisierung wird die Workbench eine Verbindung schaffen, um ein größeres Arbeitspensum zu bearbeiten, zu überwachen und zu kontrollieren. Durch technische Weiterentwicklungen könnten auch Dinge in die Workbench integriert werden, die heute noch außerhalb liegen, wie etwa Tools zur Preisoptimierung.
Dank einer gut konzipierten Workbench werden Underwriter das Potenzial verbesserter Datenanalysen effizienter und effektiver nutzen können, ebenso wie den Zugang zu IoT-Technologie und Initiativen wie Blueprint Two von Lloyd’s of London (ein technologiebasierter Marktplatz für Versicherungsleistungen). Die Einbindung dieser und weiterer dynamischer Datenquellen, sowohl interne als auch externe, ermöglichen nicht nur ein besser kalkuliertes Risiko, sondern auch ein proaktiveres Risiko-Management.
Übersetzt aus dem Englischen
Gareth Miller
Principal Consultant, Financial Services
Gareth hat 20 Jahre Erfahrung in verschiedenen Rollen im Finanzwesen, unter anderem als Berater sowie bei der Regulierungsbehörde. Während dieser Zeit stellte er fest, dass er gern dabei hilft, komplexe Probleme mittels Technologie zu lösen, statt nur auf sie hinzuweisen. Bei Endava ist er gut aufgestellt, um Kunden zu helfen, mit gegenteiligen Prioritäten umzugehen und ihre Ziele zu erreichen. Um von all der Komplexität runterzukommen, erkundet er gern die Umgebung mit seiner Familie oder auch allein auf seinem Mountainbike. Außerdem braut er zuhause ein ganz anständiges Bier.ALLE KATEGORIEN
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